Rezension
von Klaus Nüchtern (Falter)
Vom Kampf um
Selbstbestimmung erzählt auch "Der ganz normale Franz".
Franz Sedlacek, der seine Sozialisation in deviantem Verhalten im
Wien der Sechzigerjahre erhalten hat, sieht sich auf einmal mit einer
eigenen Familie konfrontiert - etwas, was "bis jetzt für
ihn die schwierigste Lebensform" gewesen war. In dem ihm
eigenen, (pseudo-) naiven Ton, der sich den Anforderungen des
disziplinierten Von-A-nach-B-Erzählens immer wieder charmant
entzieht, gelingt es Peter Campa, die Unzumutbarkeiten des
Daseins als solche festzuhalten, ohne in eine Apologie der Dissidenz
zu flüchten: "Frei wollte er sein und trotzdem lieben".
Indem es eine Idee davon vermittelt, dass es zwischen Gelingen und
Scheitern noch etwas Drittes geben könnte, leistet dieses
sympathische Buch auch einen Beitrag, uns mit den Aporien der eigenen
Lebensentwürfe zu versöhnen.
Rezensent: Klaus
Nüchtern Falter 10/2003
Peter
Campa
Der
ganz normale Franz
Wien: Triton, 2003
Franz ist der denkbar normalste Vorname. Und Franz möchte auch nichts anderes sein als eben ein ganz normaler Franz. In seiner ganz normalen kleinbürgerlichen Kindheit und später in seinem ganz normalen Erwachsenenleben. Aber vielleicht ist es gerade dieser Wunsch nach Normalität, der ihn zum Außenseiter macht. Ganz normal, oder?
Eingangs begegnen wir Peter Campas "Ganz normalem Franz" bei sich zu Hause, an einem ganz normalem Morgen. Wohnungsputz zu zweit und die kleinen Sticheleien, die konsequent dafür sorgen, dass es in der Beziehung nicht zu romantisch wird. Jeder fühlt sich ungerecht behandelt, und keiner hört dem anderen zu. Und dann lieben sie sich aber doch. Ganz normaler Alltag also.
Aber das war nicht immer so. Als Kind hat er es nicht so leicht gehabt, der Franz. Die eigenen Eltern hielten ihn für einen Sonderling, und im Sport, da war er auch ganz schlecht. Und als er sich endlich einmal etwas trauen will am Spielplatz, da passiert es, dass die Kinder erst recht wieder etwas zu tuscheln haben über ihn. Er ist beim Rutschen abgerutscht und hat ein Loch im Kopf. Das ist doch auch nicht ganz normal.
Der Franz wäre gern ein guter, braver Junge gewesen. Aber es war gar nicht so leicht, sich nicht zu versündigen. Am besten, man tat nichts, stellte sich dümmer als man war, fragte Dinge, die man schon wusste und träumte so ein bisschen vor sich hin, da konnte nicht viel passieren, das war Geborgenheit. Im Schoß einer ganz normalen Familie.
Später streunte er dann gern um den Theseustempel, rauchte Haschisch und hatte dabei Angst vor der Polizei. Dabei wäre er gerne stark gewesen. Und kritisch. Und ultraprogressiv. Das war damals gerade modern. Wenn doch nur diese Hemmungen nicht wären. Auch wenn es um Sex ging. Aber eines Tages würde er so viele Drogen nehmen, dass er keine Hemmungen mehr hätte. Und dann hätte er endlich ganz normalen Sex, und es bliebe nicht bei dem einen Mal mit einer Betrunkenen.
Damit hat Franz kein Problem mehr. Jetzt hat er Roswitha. Und Roswitha ist schwanger. Jetzt wird er Verantwortung übernehmen müssen, etwas, das er gar nicht mag. Außerdem macht Roswitha in letzter Zeit besonders oft Äußerungen, die er nicht versteht. Vielleicht ist das "das Weibliche" in ihr. Das "Typische". Roswitha ist ja eine ganz normale Frau.
Franz beschließt, ein guter Liebhaber und ein guter Vater zu sein, auch wenn er gar nicht unbedingt ein Kind haben wollte und Roswitha nicht immer auszuhalten ist. Sie ist eine schöne Frau, eine kräftige Frau, erotisch und intelligent. Und sie schimpft viel, lässt sich keineswegs alles gefallen. Er aber auch nicht, das ist ja schließlich ganz normal.
Franz schreibt einen Roman, macht den Führerschein und will sich von seinen Neurosen heilen lassen. Zu diesem Zwecke begibt er sich freiwillig in die Psychiatrische Universitätsklinik im AKH. Auf Schlafkur und Tablettenkur. Bis er sich doch wieder der für ihn schwierigsten Lebensform widmet, seiner Rolle als ganz normaler Familienvater.
Peter Campa umkreist die ganz normalen Lebensstationen seines jungen Protagonisten, erzählt im Plauderton und hält stets Distanz zu seiner Figur. Ironisch und trotzdem einfühlsam begleitet er den gesellschaftlichen Anpassungsprozess seines Helden, bis jener schließlich sich selbst als das erkennt, was er immer schon zu sein wünschte: ein ganz normaler Franz.
Sabine
E. Selzer
31. März 2003
Peter
Campa
Der
ganz normale Franz
Wien: Triton, 2003
106 S.; geb., Eur
14.-.
ISBN 3-85486-104-4
Peter Campa, Der ganz normale Franz
"Wieso kann man nicht einfach denken und schauen, was um einen vorgeht, und sonst nicht?", fragt sich der ganz normale Franz und beschreibt damit seine eigentliche Vorstellung vom Leben. Vom Tun schlechthin. "Wozu muss man sich immer verändern, korrigieren und etwas sein, was man nicht ist, oder was man glaubt zu sein?" lässt Peter Campa seinen Protagonisten weiter fragen und trifft damit den Kernpunkt dieser Erzählung von Franz´ Leben. Der glaubt, nicht normal zu sein, alle bestätigen es ihm und er versucht, sich einzugliedern. Bis hin zur festen Beziehung mit Roswitha, die leider viel schimpft und dazu noch ein Kind vom ihm bekommt. "Ich wollte, ich wär ein Krokodil", dachte Franz in jener Zeit. Inzwischen war er draufgekommen, dass ein Mensch in seinem Lebenskampf ohnedies so etwas ist wie ein Krokodil. Franz lebt in Wien, radelt durch Wien, besucht die Kneipen Wiens. Campa entfaltet ein ungewöhnliches, treffendes, liebevolles Wien-Bild, mitten drin der eigentlich doch ganz normale Franz.
Sabine B. Vogel, in: Kunst & Bücher, April 2003
http://www.kunstundbuecher.at/htm/faktkrim.htm
Rezension von Priska Koiner auf www.wienweb.at am 12.Januar 2004
Leseratte
Ganz normal - in Wien
"Franz Sedlacek liegt mit seiner Frau Roswitha im Bett." - So einfach und unscheinbar beginnt der der Roman "Der ganz normale Franz" von Peter Campa. Danach tut sich ein amüsantes, ironisches und feinfühliges Buch auf, das den Alltag einen Nachkriegskinds ohne Gut-und-Böse-Logik beschreibt. Genau das ist seine Stärke.
Der ganz normale Franz ist Wiener: schon als Kind wollte er ganz normal sein. In seinem Kinderkopf aber, war es ihm schon eine Anstrengung nicht außerhalb zu stehen. "Was ist normal?", wollte er schon von seiner Mutter lernen. Eine Antwort darauf finden weder Franz noch die amüsierten Leser. Der Protagonist führt eine Kindheit im Wien der 60er-Jahre, genau so wie viele andere auch: kleinbürgerlich, mit einem Hang zu Außenseitern, mit jugendlichen Drogenerfahrungen, Zeiten der Ideologien, Sex und Arbeit.
Jetzt findet sich Franz in einer Beziehung wieder: Roswitha ist seine Frau und sie ist schwanger. Anlass genug, um wieder einmal über "Normalität" nachzudenken. Auf seinen Straßenbahnreisen quer durch Wien begegnen ihm alte Freunde, die das ganz normale Leben - wie er selbst - auf ihre Art meistern. Letztendlich bleibt es offen: Ist es das Außenseiter-Fühlen, das ihn ganz normal macht? Für Campa bezeichnend ist, dass er Streunen zur Kunst erhebt: Franz streunt durch Leben und der Autor streunt mit ihm durch Wien.
Der Autor Campa ist wie Franz Wiener. 50 Jahre alt und widmet sich seit der Pubertät der Literatur. Sein erstes - jetzt vergriffenes Buch - "Auf der Reise" war eine eigensinnige Wien-Biografie, der "die zweite Reise" folgte. In literarischen Kreisen begeistert sein Eigensinn und seine Beschreibungskunst. "Ich beobachte, um zu erkennen, und ich erkenne, um zu verändern, aber nicht alles, sondern nur das, was mir missfällt", verrät Campa. (pr)
Info: Peter Campa "Der ganz normale Franz". Triton Verlag, Wien 2003, 106 Seiten. 14 Euro.
Rezension von Walter Wagner (Österreichisches Bibliothekswerk)
Die Literaturdatenbank des Österreichischen BibliotheksWerks - Medium Campa, Peter:
¬Der¬ ganz normale Franz / Peter Campa. - Wien : Triton, 2003. - 106 S.
ISBN 3-854-86104-4 fest geb. : ca. € 12,70
Rezension:
Von der Schwierigkeit zu sein, wie man ist / Peter Campa: Der ganz normale Franz
Franz Sedlacek liegt mit seiner Frau im Bett." So wenig spektakulär lässt Peter Campa seinen neuen Roman beginnen. Wie es dazu gekommen ist, erklärt der Erzähler, der in das noch von Bombenruinen und Ödland durchsetzte Wien der sechziger Jahre eintaucht, wo der Titelheld heranwächst. In einer bisweilen dialektal gefärbten Sprache beschwört der Autor das Lebensgefühl des so genannten kleinen Mannes, der Brav- und Fleißigsein als oberste Maximen seines Daseins akzeptiert. Die geschlechtsspezifischen Rollen sind noch unhinterfragt verteilt; wer die gesellschaftlichen Erwartungen einlöst, braucht Identitätskrisen nicht zu fürchten.
Aber der Franz hat Schwierigkeiten, das Verhalten der anderen nachzuahmen. Er träumt hinter seinen dicken Brillen, erweist sich in Fußball als Niete und erbringt ansonsten erstklassige schulische Leistungen. Ein wenig zu feig, ein wenig zu schüchtern, ein wenig zu ungeschickt - eine fatale Kombination für einen Jungen, der dem hormontrunkenen Draufgängertum seiner Altersgenossen bloß Nachdenklichkeit entgegenzusetzen hat. Sich in die self-fulfilling prophecy des "I waaß eh, dass i net normal bin" fügend, besiegelt er sein Außenseitertum, das ihm die Kameraden mit Hänseleien und Prügeln bestätigen. Ach, der Franz musste so viel denken, und "allmählich begriff der Franz, dass man leichter durchs Leben ging, wenn man zwar nicht dumm war, aber zumindest so tat als ob".
In dieser sentenziös zugespitzten Erkenntnis legt der Erzähler das konfliktreiche Verhältnis des Romanhelden zu seiner Umwelt offen. Thematisiert Der ganz normale Franz also vordergründig die Problematik randständiger Lebensformen, so stößt man auf eine darunter liegende Frage, die auf die Unvereinbarkeit von bürgerlicher und künstlerischer Existenz zielt. Insofern könnte die vorliegende Neuerscheinung als Künstlerroman apostrophiert werden, würde Franz" Suche nach ästhetischem Ausdruck nicht allzu beiläufig abgehandelt.
Tatsächlich arbeitet der Protagonist an einem Roman, in dem sich die Beziehung zu seiner Frau Roswitha spiegelt. Ihn abzuschießen, wird ihm allerdings kaum Zeit bleiben, denn Franz hat plötzlich eine Familie zu ernähren. Zumindest will er die Angelegenheit ernst nehmen. Dabei hat sich der ehemalige Kommunenbewohner und Hippie nie sonderlich für Frauen und die sich daraus ergebende Lebensform der Zweierbeziehung interessiert. Aber jetzt ist er dreiundvierzig und seine Frau schwanger. Roswitha hat ihn zu beidem überredet: zu Ehe und Kind. Beides erfüllt den Lethargiker mit Beklemmung: "Franz brauchte Zeit zum Meditieren, so meinte er zumindest. Und dies tat er alleine. Ohne Roswitha. Ohne Kind. Nicht dass er Roswitha nicht liebte, er hielt sie einfach nicht immer aus."
Campas Erzählperspektive schränkt den Lesenden auf eine explizit männliche Sicht ein, die das Verhältnis der Geschlechter auf geradezu klischeehafte Weise simplifiziert. Roswitha erscheint als irrationales Wesen, das ihrem Partner bis zuletzt ein Rätsel bleibt und dem man, um Konflikte zu vermeiden, am besten nicht widerspricht. In der Praxis verwurzelt, steht sie im Alltag ihre Frau. Franz hingegen hängt seinen Ideen nach und sucht sich die Welt rational zu erklären. Gegen die vita activa, sprich Geschäftigkeit seiner Frau, hegt er nicht nur tiefes Misstrauen, sondern auch starke Abneigung. Daher entfernt er sich regelmäßig aus der ehelichen Wohnung, in der sich neben Roswitha sein Stiefsohn Ludwig und die neugeborene Ruth befinden. Sein binärer Fluchtweg führt entweder ins Beisel oder in die entlegenen Bezirke von Wien, die er mit dem Fahrrad erkundet: "Noch immer bewegte der Franz seine Beine auf den Pedalen dreißig Zentimeter über der Lasallestraße. Er würde heute länger ausbleiben, das wusste er. Roswitha hatte ihn wieder einmal gefragt, wie er sich seine Zukunft vorstelle."
Eigentlich sollte er sein Studium abschließen, die Führerscheinprüfung nachholen, sich eine Stelle suchen. Nicht nachdenken, einfach nur funktionieren. Gerade das gelingt dem liebenswürdigen Versager nicht, dessen Geschichte verdeutlicht, mit welcher normativen Gewalt gesellschaftliche Realitäten auf das Individuum einwirken. Zusammenleben bedeutet eben Zwang und Zurichtung. Franz beugt sich dieser Einsicht, indem er sich bemüht, seiner Tochter ein fürsorglicher Vater und Roswithas willfähriger Ehemann zu sein, um dergestalt die schwierigste Existenzform, nämlich die Familie, zu meistern: "Irgendwie lebt man ja immer in einer Familie. Und wähnt man sich drinnen, so ist man vielleicht bereits draußen und wähnt man sich außerhalb, so steht man doch mitten drin."
Ein geistreiches Resümee, dem nichts hinzuzufügen wäre, folgte nicht ein allerletztes Kapitel, mit dem Peter Campa ein überraschender Schluss gelungen ist, der nicht verraten werden soll. Fest steht jedenfalls, dass uns der Autor noch tiefer in sein fiktionales Spiegelkabinett führt, als ob er unterstreichen wollte, dass er es ist, der die Fäden in der Hand hält, an denen Figuren und Leser tanzen. Der Roman bildet letztlich sich selbst ab und macht dergestalt seinen Artefaktcharakter kenntlich. Ein kluges Spiel, hier schreibt einer, der sein Handwerk versteht.
*LuK* Walter Wagner